G. W. Plechanow

Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung

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Drittes Kapitel

Die utopischen Sozialisten

Wenn die menschliche Natur unveränderlich ist und wenn man aus ihren bekannten Haupteigenschaften mathematisch exakte Sätze für das Bereich der Moral und der Gesellschaftswissenschaft ableiten kann, dann wird man sich leicht eine Gesellschaftsordnung ausdenken können, die den Anforderungen der menschlichen Natur völlig entspricht und deshalb die ideale Gesellschaftsordnung ist. Schon die Materialisten des 18. Jahrhunderts ergehen sich gern in Untersuchungen über das Thema der vollkommenen Gesetzgebung (legislation parfaite). Diese Untersuchungen sind das utopische Element in der Literatur der Aufklärung. [A]

Die utopischen Sozialisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geben sich solchen Untersuchungen mit Herz und Seele hin.

Die utopischen Sozialisten dieser Epoche vertreten ausschließlich die anthropologischen Ansichten der französischen Materialisten. Genau wie die Materialisten halten sie den Menschen für das Produkt seiner gesellschaftlichen Umwelt [B] und, genau wie die Materialisten, gelangen sie in einen fehlerhaften Kreis, indem sie die veränderlichen Eigenschaften der Umwelt durch unveränderliche Eigenschaften der menschlichen Natur erklären.

Die ganze Unsumme der Utopien aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts ist nichts anderes als ein Versuch, die vollkommene Gesetzgebung auszudenken, der die menschliche Natur als höchstes Maß gilt. So wählt Fourier zum Ausgangspunkt seiner Analysen die menschlichen Leidenschaften; so geht Robert Owen in seinem Outline of the Rational System of Society von den Grundprinzipien der Wissenschaft von der menschlichen Natur (First Principles of Human Nature) aus und behauptet, dass „die rationelle Regierung“ vor allem „bestimmen muss, was die menschliche Natur ist“ (ascertain what Human Nature is); so erklären die Saint-Simonisten, ihre Philosophie beruhe auf einer neuen Auffassung der menschlichen Natur (sur une nouvelle conception de la nature humaine) [C]; so sagen die Fourieristen, die von ihrem Lehrer erdachte gesellschaftliche Organisation sei eine Reihe unbestreitbarer Schlussfolgerungen aus den unveränderlichen Gesetzen der menschlichen Natur. [D]

Die Betrachtung der menschlichen Natur als des höchsten Maßes hinderte die verschiedenen sozialistischen Schulen natürlich nicht, in der Definition der Eigenschaften dieser menschlichen Natur stark voneinander abzuweichen. Nach Ansicht der Saint-Simonisten zum Beispiel „widersprechen Owens Pläne den Neigungen der menschlichen Natur in einem Masse, das die Popularität, die sie gegenwärtig“ (geschrieben im Jahre 1825) „zu genießen scheinen, auf den ersten Blick unerklärlich macht“. [E] In Fouriers polemischer Broschüre «Pièges et charlatanisme des deux sectes Saint-Simon et Owen, qui promettent l’association et le progrès» wird man nicht selten entschieden darauf hingewiesen, dass auch Saint-Simons Lehre allen Neigungen der menschlichen Natur widerspreche. Nun erwies es sich wie zur Zeit Condorcets, dass es viel schwieriger ist, sich über die Definition der menschlichen Natur zu einigen als diese oder jene geometrische Figur zu definieren.

Da die utopischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts auf dem Standpunkt der menschlichen Natur verharrten, wiederholten sie nur die Fehler der Denker aus dem 18. Jahrhundert – eine Sünde übrigens, der die ganze zeitgenössische Gesellschaftswissenschaft verfiel. [F] Aber man kann bei ihnen das starke Streben feststellen, sich aus den engen Schranken des abstrakten Begriffs zu befreien und auf konkretem Boden zu fußen. Bemerkenswert sind in dieser Hinsicht die Werke Saint-Simons.

Während die französischen Aufklärer die Menschheitsgeschichte meistens als eine Reihe mehr oder weniger glücklich zustande gekommener Zufälle ansahen [G], suchte Saint-Simon in der Geschichte vor allem Gesetzmäßigkeiten. Die Wissenschaft von der menschlichen Gesellschaft soll eine ebenso exakte Wissenschaft werden, wie es die Naturwissenschaft ist. Wir müssen die Tatsachen des früheren Lebens der Menschheit studieren, um hier die Gesetze ihres Fortschreitens zu entdecken. Nur der ist fähig, die Zukunft vorauszusehen, der die Vergangenheit verstanden hat. Nachdem Saint-Simon so der Gesellschaftswissenschaft ihre Aufgabe gestellt hatte, wandte er sich insbesondere dem Studium der Geschichte Westeuropas seit dem Verfall des Römischen Reiches zu. Wie neu und umfassend seine Ansichten waren, ist daraus ersichtlich, dass sein Schüler Augustin Thierry eine fast vollständige Umwälzung in der Betrachtung der französischen Geschichte herbeiführen konnte. Saint-Simon war der Meinung, auch Guizot habe seine Ansichten von ihm entlehnt. Wir wollen diese Frage des theoretischen Eigentums beiseite lassen und hier nur vermerken, dass es Saint-Simon verstanden hatte, die Triebfedern der inneren Entwicklung europäischer Gesellschaften weiter zu verfolgen als die zeitgenössischen Fachhistoriker. Wenn Thierry, Mignet und Guizot auf die Eigentumsverhältnisse als die Grundlage der ganzen Gesellschaftsordnung hingewiesen hatten, so war es Saint-Simon, der die Geschichte dieser Verhältnisse im neuen Europa als erster außerordentlich klar beleuchtete und noch weiter ging, indem er sich fragte: Warum spielen gerade diese und keine anderen Verhältnisse eine so wichtige Rolle? Seiner Meinung nach muss die Antwort in den Erfordernissen der industriellen Entwicklung gesucht werden. „Vor dem 15. Jahrhundert lag die weltliche Macht in den Händen des Adels, und dieses Grundprinzip war nützlich, weil in dieser Epoche die Adligen die entscheidenden Produzenten waren. Sie leiteten die Landarbeit; die Landarbeit aber war damals der einzige Produktionszweig von größerer Bedeutung.“ [H] Auf die Frage, warum denn die Erfordernisse der Industrie von einer so entscheidenden Bedeutung für die Geschichte der Menschheit seien, antwortete Saint-Simon: weil die Produktion der Zweck jeder gesellschaftlichen Organisation ist (le but de l’organisation sociale c’est la production). Er maß der Produktion diese Bedeutung bei, weil er das Nützliche mit dem Produktiven identifizierte (l’utile c’est la production [1]) und kategorisch erklärte, dass la politique ... c’est la science de la production. [2]

Man möchte meinen, die logische Entwicklung dieser Ansichten habe Saint-Simon zu dem Schluss führen müssen, die Gesetze der Produktion seien gerade jene Gesetze, die letztlich die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen und deren Studium die Aufgabe eines Denkers ist, der die Zukunft vorauszusehen sich bemüht. An manchen Stellen kommt er diesem Gedanken recht nahe, aber nur an manchen Stellen und eben nur nahe.

Die Produktion erfordert Arbeitswerkzeuge. Diese Werkzeuge liefert die Natur nicht in fertigem Zustande, der Mensch muss sie erfinden. Die Erfindung und selbst der einfache Gebrauch eines Werkzeugs setzt beim Erzeuger einen gewissen Grad geistiger Entwicklung voraus. Die Entwicklung der „Industrie“ ist also geradeswegs das Ergebnis einer geistigen Entwicklung der Menschheit. Es scheint, dass auch hier die Ansicht, die „Aufklärung“ (lumières) die Welt ungeteilt beherrscht. Und je klarer die wichtige Rolle der Industrie hervortritt, desto mehr bestätigt sich scheinbar dieser Standpunkt der Philosophen des 18. Jahrhunderts. Saint-Simon vertritt ihn noch konsequenter als die französischen Aufklärer, da er die Frage des Ursprungs der Ideen aus den Empfindungen als gelöst betrachtet und minderen Anlass hat, über den Einfluss der Umwelt auf den Menschen nachzudenken. Die Entwicklung des Wissens erscheint bei ihm als Hauptfaktor der geschichtlichen Bewegung. [I] Er will die Gesetze dieser Entwicklung entdecken; so stellt er das gleiche Gesetz der drei Phasen fest – der theologischen, metaphysischen und positiven –, das Auguste Comte später mit so großem Erfolg als seine eigene „Entdeckung“ ausgegeben hat. [J] Aber auch diese Gesetze erklären sich bei ihm letzten Endes aus den Eigenschaften der menschlichen Natur. „Die Gesellschaft besteht aus Individuen“, sagt er, „also kann die Entwicklung der gesellschaftlichen Vernunft nur eine Reproduktion der Entwicklung der individuellen Vernunft im größeren Maßstab sein.“ Ausgehend von diesem Grundsatz, hält er seine „Gesetze“ der gesellschaftlichen Entwicklung jedes Mal für endgültig geklärt und bewiesen, wenn es ihm gelingt, als Bestätigung eine passende Analogie in der Entwicklung des Individuums zu finden. Er behauptet zum Beispiel, die Rolle der Macht im gesellschaftlichen Leben reduziere sich mit der Zeit auf Null. [K] Die allmähliche, aber stetige Verringerung dieser Rolle sei eines der Entwicklungsgesetze der Menschheit. Wie beweist er nun dieses Gesetz? Sein Hauptargument ist der Hinweis auf die individuelle Entwicklung des Menschen: In der Grundschule muss das Kind den Erwachsenen unbedingten Gehorsam zollen; in der mittleren und höheren tritt das Element des Gehorsams allmählich in den Hintergrund, um schließlich seinen Platz endgültig dem selbständigen Handeln im reifen Alter abzutreten. Mag einer die Geschichte der „Macht“ betrachten, wie er will, er wird zugeben müssen, dass ein Vergleich hier wie überall noch kein Beweis ist. Die Embryonalentwicklung eines Individuums (die Ontogenese) bietet manche Analogie zur Geschichte der Art, der dieses Individuum angehört; die Ontogenese liefert viele wichtige Hinweise zur Phylogenese. Was würden wir aber heute von einem Biologen sagen, dem es einfiele zu behaupten, dass man in der Ontogenese die letzte Erklärung der Phylogenese suchen müsse? Die moderne Biologie verfährt gerade umgekehrt: Sie erklärt die embryonale Geschichte des Individuums aus der Geschichte der Art.

Der Appell an die menschliche Natur verlieh allen „Gesetzen“ der gesellschaftlichen Entwicklung, wie sie sowohl Saint-Simon als auch seine Schüler formulierten, einen eigenartigen Zug.

Er führte auch sie in einen fehlerhaften Kreis. – Die Geschichte der Menschheit erklärt sich aus ihrer Natur. Woher lernen wir aber die Natur des Menschen kennen? Aus der Geschichte. – Es ist klar, dass man weder die Natur des Menschen noch seine Geschichte zu begreifen imstande ist, wenn man sich in diesem Kreise bewegt, sondern nur einzelne, mehr oder weniger tiefgründige Bemerkungen über dieses oder jenes Gebiet der gesellschaftlichen Erscheinungen machen kann. Saint-Simon hat manche sehr feine, teils wahrlich geniale Bemerkungen gemacht, aber sein Hauptziel, für die „Politik“ eine feste wissenschaftliche Basis zu finden, blieb unerreicht.

„Das oberste Gesetz für den Fortschritt der menschlichen Vernunft“, sagt Saint-Simon, „ordnet sich alles unter, beherrscht alles; die Menschen sind nur Werkzeuge ... Und obwohl diese Macht (d. h. dieses Gesetz) von uns ausgeht (derive de nous), können wir ihrem Einfluss ebenso wenig entgehen oder sie uns Untertan machen, wie wir die Wirkung der Kraft, die die Erde zwingt, sich um die Sonne zu drehen, willkürlich ändern können. Das Äußerste, was wir können, ist, uns diesem Gesetz (unserer wahren Vorsehung) bewusst unterzuordnen und uns über die Bewegung, die es uns vorschreibt, Rechenschaft abzulegen, statt uns ihm blind zu unterwerfen. Wir bemerken nebenbei, dass gerade darin der Schritt voraus bestehen wird, den zu machen dem philosophischen Bewusstsein unseres Jahrhunderts beschieden ist.“ [L]

So ist also die Menschheit ganz und gar dem Gesetz der eigenen geistigen Entwicklung unterworfen; sie könnte seinem Einfluss selbst dann nicht entgehen, wenn sie es wünschte. Wir wollen diese These sorgfältiger in Augenschein nehmen und der Anschaulichkeit halber das Gesetz der drei Phasen betrachten. Die Menschheit bewege sich vom theologischen zum metaphysischen, vom metaphysischen zum positiven Denken. Dieses Gesetz wirke mit gleicher Kraft wie die Gesetze der Mechanik.

Es ist sehr gut möglich, dass dem so ist; nur fragt es sich, wie der Gedanke zu verstehen sei, dass die Menschheit, selbst wenn sie es wünschte, die Wirkung dieses Gesetzes nicht habe ändern können? Heißt das, dass sie die Metaphysik auch dann nicht hätte vermeiden können, wenn sie den Vorzug des positiven Denkens bereits am Ende der theologischen Periode erkannt hätte? Offenbar nicht; wenn das aber der Fall ist, so ist es nicht weniger offensichtlich, dass die Ansicht Saint-Simons von der Gesetzmäßigkeit der geistigen Entwicklung selber irgendeine Unklarheit enthält. Worin besteht diese Unklarheit? Woher kommt sie?

Sie besteht recht eigentlich in der Gegenüberstellung des Gesetzes und des Wunsches, seine Wirkung zu ändern. Wenn in der Menschheit ein solcher Wunsch entstanden ist, so ist er selbst eine Tatsache aus der Geschichte ihrer geistigen Entwicklung, und das Gesetz muss diese Tatsache einschließen, nicht aber mit ihr in Konflikt geraten. Solange wir die Möglichkeit eines solchen Konflikts zulassen, haben wir uns noch nicht den eigentlichen Inhalt des Gesetzes klargemacht und werden unbedingt in eines der beiden Extreme verfallen: Entweder verlassen wir den Standpunkt der Gesetzmäßigkeit und beziehen den Standpunkt des Wünschenswerten, oder wir lassen das Wünschenswerte – richtiger gesagt, das von den Menschen einer Epoche Gewünschte – außer Acht und verleihen dadurch dem Gesetz eine gewisse mystische Schattierung, verwandeln es in irgendein Fatum. Gerade als solch ein Fatum erscheint das „Gesetz“ bei Saint-Simon und bei den Utopisten überhaupt, soweit sie über Gesetzmäßigkeiten sprechen. Wir wollen bei dieser Gelegenheit bemerken, dass die russischen „subjektiven Soziologen“, wenn sie zur Verteidigung der „Persönlichkeit“, der „Ideale“ und anderer guter Sachen ausziehen, gerade mit Hilfe der utopischen, also unzulänglichen Lehre vom „natürlichen Ablauf der Dinge“ kämpfen. Unsere Soziologen haben anscheinend noch nicht gehört, welchen Inhalt der moderne wissenschaftliche Begriff von der Gesetzmäßigkeit des gesellschaftlich-historischen Prozesses hat.

Woher stammt die utopische Unklarheit bei dem Begriff der Gesetzmäßigkeit? Sie ging hervor aus dem von uns schon erwähnten Grundfehler in den Ansichten, die die Utopisten – und nicht nur sie allein, wie wir wissen – über die Entwicklung der Menschheit hatten. Die Geschichte der Menschheit wurde aus der Natur des Menschen erklärt. Wenn diese Natur einmal gegeben ist, sind auch die Gesetze der historischen Entwicklung oder, wie Hegel gesagt hat, die ganze Geschichte {an sich} gegeben. Der Mensch kann in den Verlauf seiner Entwicklung ebenso wenig eingreifen, wie er aufhören kann, Mensch zu sein. Das Gesetz der Entwicklung erscheint als Vorsehung.

Das ist historischer Fatalismus, der sich aus einer Lehre ergibt, die das fortschreitende Wissen – folglich auch die bewusste Tätigkeit des Menschen – für die Haupttriebfeder der historischen Bewegung hält.

Doch gehen wir weiter.

Wenn uns das Studium der Natur des Menschen den Schlüssel zum Verstehen der Geschichte gibt, so ist für mich weniger das tatsächliche Studium der Geschichte als das richtige Verstehen gerade dieser Natur wichtig. Habe ich mir von ihr eine richtige Ansicht gebildet, dann verliere ich fast jedes Interesse am gesellschaftlichen Leben, wie es ist, und konzentriere meine ganze Aufmerksamkeit auf das gesellschaftliche Leben, wie es in Übereinstimmung mit der Natur des Menschen sein muss. Fatalismus in der Geschichte verhindert keineswegs ein utopisches Verhältnis zur Wirklichkeit in der Praxis. Im Gegenteil, er fördert es, indem er den Faden der wissenschaftlichen Forschung abreißt. Der Fatalismus geht, überhaupt häufig Hand in Hand mit dem allerextremsten Subjektivismus. Auf Schritt und Tritt erklärt der Fatalismus seine eigene Einstellung zum unabwendbaren Gesetz der Geschichte. Gerade von den Fatalisten kann man mit den Worten des Dichters sagen:

„Was sie den Geist der Geschichte nennen,
ist nur der Herren eigner Geist.“ [3]

Die Saint-Simonisten behaupteten, dass sich jener Anteil am gesellschaftlichen Produkt, der den Ausbeutern fremder Arbeit zufällt, fortlaufend verringere. Diese Verringerung ist in ihren Augen das wichtigste Gesetz der ökonomischen Entwicklung der Menschheit. Zum Beweise führten sie das stete Fallen des Zinsfußes und der Grundrente an. Hätten sie sich hier der Methoden einer streng wissenschaftlichen Untersuchung befleißigen wollen, dann hätten sie die ökonomischen Ursachen der von ihnen festgestellten Erscheinung finden müssen; zu diesem Zweck aber hätten sie die Produktion, die Reproduktion und die Verteilung der Produkte sorgfältig erforschen müssen. Hätten sie das getan, so würden sie vielleicht bemerkt haben, dass das Fallen des Zinsfußes oder selbst der Grundrente, wenn es tatsächlich vorliegt, durchaus noch nicht auf eine Verringerung des Anteils der Besitzer hinweist. Und dann hätte ihr ökonomisches „Gesetz“ natürlich eine ganz andere Formulierung erhalten. Doch hatten sie anderes im Sinn. Die Überzeugung von der Allmacht der geheimnisvollen Gesetze, die der Natur des Menschen entspringen, lenkte ihre Gedankentätigkeit in eine ganz andere Richtung. Die in der Geschichte bis jetzt vorherrschende Tendenz könne sich in Zukunft nur verstärken, sagten sie; die ständige Verringerung des Anteils der Ausbeuter werde notwendigerweise mit ihrem vollständigen Verschwinden enden, das heißt mit dem Verschwinden der Klasse der Ausbeuter selbst. In Voraussicht dessen müssten wir schon jetzt neue Formen gesellschaftlicher Einrichtungen finden, in denen für Ausbeuter schon kein Platz mehr sei. Aus anderen Eigenschaften der menschlichen Natur lasse sich ersehen, dass diese Formen so und so sein müssten ... Der Plan der gesellschaftlichen Umgestaltung ist sehr schnell fertig; der außerordentlich wichtige wissenschaftliche Gedanke der Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Erscheinungen wird in einige utopische Rezepte aufgelöst ...

Solche Rezepte haben die damaligen Utopisten für die wichtigste Aufgabe des Denkers gehalten. Dieser oder jener Satz der politischen Ökonomie ist für sich allein ohne Bedeutung. Bedeutend wird er vermöge der praktischen Folgerungen, die sich aus ihm ergeben. J. B. Say streitet sich mit Ricardo, was den Tauschwert der Güter bestimme.

Vielleicht ist das vom Standpunkt der Fachleute eine wichtige Frage. Noch wichtiger ist es aber, zu wissen, was diesen Tauschwert bestimmen müsste; daran denken die Fachleute leider nicht einmal. Denken wir also an ihrer Stelle nach. Die menschliche Natur sagt uns deutlich das und das. Wenn wir auf ihre Stimme zu horchen beginnen, bemerken wir erstaunt, dass der in den Augen der Fachleute wichtige Streit im Grunde genommen gar nicht wichtig ist. Man kann Say zustimmen, denn aus seinen Thesen ergeben sich Folgerungen, die den Forderungen der menschlichen Natur durchaus gerecht werden. Man kann auch Ricardo zustimmen, denn auch seine Ansichten, richtig gedeutet und ergänzt, können diese Forderungen nur bekräftigen. So mischt sich der utopische Gedanke ungeniert in wissenschaftliche Diskussionen ein, deren Bedeutung ihm unverständlich bleibt. So lösten gebildete und von der Natur reich begabte Männer, zum Beispiel Enfantin, die strittigen Fragen der damaligen politischen Ökonomie.

Enfantin hat nicht wenige politisch-ökonomische Untersuchungen verfasst, die man zwar nicht als ernsten Beitrag zur Wissenschaft ansehen kann, die man jedoch auch nicht ignorieren darf, wie es die Historiker der politischen Ökonomie und des Sozialismus bis jetzt getan haben. Enfantins ökonomische Arbeiten sind bedeutend als eine interessante Phase in der Entwicklungsgeschichte des sozialistischen Gedankens. Doch sein Verhältnis zum Streit der Ökonomen wird ausreichend durch das folgende Beispiel erläutert.

Bekanntlich hat Malthus beharrlich und, mit einem Wort, höchst erfolglos Ricardos Rententheorie bestritten. Enfantin denkt nun, die Wahrheit sei eher bei jenem als bei diesem zu suchen. Er bestreitet aber auch Ricardos Theorie nicht; das hält er nicht für notwendig. Seiner Ansicht nach „müssten alle Überlegungen über das Wesen der Rente und über die tatsächliche Erhöhung oder Ermäßigung des Anteils, den der Eigentümer dem Arbeiter fortnimmt, letzten Endes auf eine Frage hinauslaufen: Wie ist die Natur jener Beziehungen, die im Interesse der Gesellschaft zwischen dem sich von den Geschäften zurückziehenden Produzenten (so nennt Enfantin den Grundbesitzer) und dem aktiven Produzenten (das heißt dem Farmer) bestehen müssen. Wenn diese Beziehungen bekannt sind, wird es genügen, jene Wege festzustellen, die zur Errichtung dieser Beziehungen führen; dabei wird man auch den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft berücksichtigen müssen; dessen ungeachtet wäre jede andere Frage (das heißt über die obengestellte Frage hinaus) zweitrangig und würde nur die Kombinationen stören, die das Betreten der genannten Wege fördern müssten.“ [M]

Die Hauptaufgabe der politischen Ökonomie, die Enfantin lieber Philosophische Geschichte der Industrie genannt haben möchte, besteht in der Entdeckung sowohl der Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Produzentenschichten als auch der Beziehungen der gesamten Produzentenklasse zu anderen gesellschaftlichen Klassen. Diese Hinweise müssen auf dem Studium der historischen Entwicklung der industriellen Klasse beruhen, wobei der „neue Begriff vom Menschengeschlecht“, das heißt, mit anderen Worten, von der Natur des Menschen, diesem Studium zugrunde gelegt werden muss. [N]

Bei Malthus war die Anfechtung der Rententheorie Ricardos mit der sehr bekannten – wie man bei uns jetzt sagt – Mehrwerttheorie der Arbeit aufs Engste verknüpft. Enfantin vertieft sich sehr wenig in das Wesen des Streits, beeilt sich aber, ihn durch eine utopische Ergänzung (oder, wie man bei uns heutzutage sagt, Richtigstellung) zur Rententheorie Ricardos zu lösen: „Wenn wir diese Theorie richtig verstehen“, sagt er, „so müsste man ihr wohl hinzufügen, dass ... die Arbeiter einige Menschen für das Nichtstun, dem sich diese hingeben, für das Recht, Produktionsmittel zu benutzen, bezahlen (das heißt eine Rente zahlen).“

Unter Arbeitern versteht Enfantin hier auch, sogar vorzugsweise, solche Farmer, die selbst Unternehmer sind. Was er über ihr Verhältnis zu den Grundbesitzern sagt, ist durchaus richtig. Doch in seiner „Richtigstellung“ läuft alles nur auf den schärferen Ausdruck einer auch Ricardo gut bekannten Erscheinung hinaus. Dabei lässt dieser scharfe Ausdruck (Adam Smith drückt sich manchmal noch krasser aus) die Fragen nach dem Wert und der Rente nicht nur ungelöst, sondern entzieht sie dem Gesichtsfeld Enfantins ganz und gar. Für ihn haben diese Fragen ja nie bestanden; ihn interessiert nur die künftige gesellschaftliche Einrichtung; ihm kommt es darauf an, den Leser zu überzeugen, dass ein Privateigentum an Produktionsmitteln nicht bestehen dürfe. Enfantin sagt geradeheraus, wenn nicht praktische Fragen dieser Art bestünden, würden die ganzen gelehrten Diskussionen über den Wert bloßer Streit um Worte sein. Das ist sozusagen die subjektive Methode in der politischen Ökonomie.

Die Utopisten haben diese „Methode“ nie direkt empfohlen. Dass sie ihr aber stark zuneigten, wird unter anderem dadurch bewiesen, dass Enfantin Malthus (!) der übermäßigen Objektivität bezichtigt. Die Objektivität ist seiner Meinung nach der Hauptmangel dieses Schriftstellers. Wer Malthus’: Werke kennt, weiß, dass es dem Verfasser des „Versuchs über das Bevölkerungsprinzip“ gerade immer an Objektivität (wie sie Ricardo zum Beispiel aufwies) mangelte. Wir wissen nicht, ob Enfantin Malthus selbst gelesen hat (alles lässt vermuten, dass ihm zum Beispiel die Ansichten Ricardos nur aus den Auszügen bekannt waren, die die französischen Ökonomen aus seinen Werken gemacht hatten), aber auch wenn er ihn gelesen hätte – seinen wahren Wert würde er kaum erkannt und kaum nachzuweisen verstanden haben, dass Malthus der Wirklichkeit widerspricht. Weil Enfantin mit Überlegungen beschäftigt ist, wie denn alles sein müsste, hat er weder Zeit noch Lust, sich sorgfältig in das hineinzudenken, was tatsächlich da ist. „Ihr habt recht“, möchte er jedem ersten besten Speichellecker sagen, „im gegenwärtigen gesellschaftlichen Leben geht es genauso vor sich, wie ihr es beschreibt, doch seid ihr zu objektiv; betrachtet die Angelegenheit vom humanen Standpunkt, und ihr werdet sehen, dass unser gesellschaftliches Leben neu aufgebaut werden muss.“ Der utopische Dilettantismus muss jedem mehr oder weniger gelehrten Verteidiger der bürgerlichen Ordnung theoretische Zugeständnisse machen. Um das in ihm selbst entstehende Bewusstsein seiner Ohnmacht auszugleichen, tröstet sich der Utopist, indem er seinen Gegnern Objektivismus vorwirft: Schon gut, sagt er, ihr seid gelehrter als ich, dafür bin ich aber gütiger. Der Utopist widerlegt die gelehrten Verteidiger der Bourgeoisie nicht; er fügt ihren Theorien nur „Anmerkungen“ und „Richtigstellungen“ hinzu. Das gleiche durch und durch utopische Verhältnis zur Gesellschaftswissenschaft fällt jedem aufmerksamen Leser auf jeder Seite der Werke „subjektiver“ Soziologen auf. Wir werden darüber noch manches zu sagen haben. Zunächst wollen wir zwei markante Beispiele anführen. Im Jahre 1871 erschien die Dissertation des verstorbenen N. Sieber Ricardos Wert- und Kapitaltheorie im Zusammenhang mit späteren Ergänzungen und Kommentaren. Im Vorwort spricht der Verfasser wohlwollend, aber nur flüchtig über J. Schukowskis Aufsatz Smiths Richtung und der Positivismus in der ökonomischen Wissenschaft (dieser Aufsatz erschien bereits 1864 in der Zeitschrift Sowremennik). Zu dieser flüchtigen Beurteilung sagt Herr Michailowski: „Es ist mir sehr angenehm, mich daran zu erinnern, dass ich in meinem Aufsatz Über die literarische Tätigkeit J. G. Schukowskis den Verdiensten unseres Ökonomen habe Recht widerfahren lassen. Namentlich habe ich darauf hingewiesen, dass Herr Schukowski schon längst den Gedanken ausgesprochen hat, es sei notwendig, zu den Quellen der politischen Ökonomie zurückzukehren, in denen alle Voraussetzungen einer richtigen Lösung der Hauptfragen der Wissenschaft enthalten sind – Voraussetzungen, die die Schulweisheit der gegenwärtigen politischen Ökonomie völlig verfälscht hat. Aber ich habe damals gleich darauf hingewiesen, dass die Ehre der &bsquo;ersten Inanspruchnahme‘ dieser Idee, die sich später in den starken Händen von Karl Marx als derart fruchtbar erwiesen hat, in der russischen Literatur nicht Herrn Schukowski zukommt, sondern einem anderen Schriftsteller, nämlich dem Verfasser der Aufsätze Die ökonomische Betätigung und die Gesetzgebung (Sowremennik, 1859), Kapital und Arbeit (1860), der Kommentare zu Mill und anderer mehr. [4] Abgesehen von der zeitlichen Priorität, kann der Unterschied zwischen diesem Schriftsteller und Herrn Schukowski auf folgende Art veranschaulicht werden. Wenn Herr Schukowski zum Beispiel eingehend und streng wissenschaftlich, sogar ziemlich pedantisch, beweist, die Arbeit sei das Wertmaß und jeder Wert werde durch Arbeit erzeugt, so legt der Verfasser der genannten Aufsätze, ohne die theoretische Seite der Sache außer Acht zu lassen, das Hauptgewicht vorzugsweise auf die logisch-praktische Folgerung aus ihr: Jeder Wert muss, da er von der Arbeit erzeugt und durch sie bewertet wird, der Arbeit gehören.“ [O] Man braucht kein großer Kenner der politischen Ökonomie zu sein, um zu wissen, dass „der Verfasser der Kommentare zu Mill“ die Werttheorie keineswegs begriffen hatte, die später „in den starken Händen von Karl Marx“ eine derart glänzende Entwicklung erfuhr. Und jeder, der die Geschichte des Sozialismus kennt, begreift, warum dieser Verfasser, entgegen den Versicherungen des Herrn Michailowski, gerade „die theoretische Seite der Sache außer Acht gelassen“ hat und sich Überlegungen widmete, nach welchen Normen die Produkte in der wohl eingerichteten Gesellschaft getauscht werden müssten. Der Verfasser der Kommentare zu Mill betrachtete ökonomische Fragen vom Standpunkt des Utopisten. Das war zu seiner Zeit durchaus natürlich. Höchst befremdlich ist nur, dass Herr Michailowski diesen Standpunkt in den siebziger Jahren nicht aufzugeben vermocht hat (und ihn auch später nicht aufgegeben haben kann, da er seinen Fehler sonst in der neuen Ausgabe seiner Werke verbessert hätte), obwohl man sich – selbst aus populären Schriften – eine richtigere Ansicht von den Dingen leicht hätte zu eigen machen können. Herr Michailowski hat nicht verstanden, was „der Verfasser der Kommentare zu Mill“ über den Wert sagt. Das geschah deshalb, weil auch er „die theoretische Seite der Sache außer Acht ließ“ und sich „der logisch-praktischen Folgerung aus ihr“ hingab, das heißt der Überlegung, dass „jeder Wert der Arbeit gehören muss“. Wir wissen schon, dass sich die Begeisterung für praktische Folgerungen immer schädlich auf die theoretischen Gedankengänge der Utopisten ausgewirkt hat. Wie alt aber die „Folgerung“ ist, die Herrn Michailowski aus dem Konzept brachte, zeigt die Tatsache, dass sie bereits die englischen Utopisten der zwanziger Jahre aus Ricardos Werttheorie abgeleitet haben. Herr Michailowski interessiert sich als Utopist nicht einmal für die Geschichte der Utopien.

Das andere Beispiel: Im Jahre 1882 begründete Herr W. W. das Erscheinen seines Buches Die Geschicke des Kapitalismus in Russland auf folgende Art:

„Der vorliegende Sammelband besteht aus Aufsätzen, die in verschiedenen Zeitschriften erschienen sind. Wenn wir sie als einen gesonderten Band herausbringen, verleihen wir ihnen nur eine äußerliche Einheit, wir haben den Stoff etwas anders verteilt, haben Wiederholungen weggelassen (längst nicht alle – in W. W.s Buch sind noch sehr viele übriggeblieben. G. P.). Ihr Inhalt blieb der alte; neue Tatsachen und Argumente sind in nur geringer Zahl angeführt; und wenn wir es trotzdem wagen, unsere Aufsätze der Beachtung des Lesers zum zweiten Mal anzubieten, so geschieht das mit dem alleinigen Zweck, durch einen gleichzeitigen Überfall mit dem gesamten Arsenal auf die Weltanschauung der Intelligenz diese zu zwingen, der aufgeworfenen Frage Beachtung zu schenken (welch ein Bild: Herr W.&npsp;W. überfällt „mit dem gesamten Arsenal“ die Weltanschauung des Lesers, und die eingeschüchterte Intelligenz kapituliert, schenkt Beachtung usw. G. P.), unsere gelehrten und vereidigten Publizisten des Kapitalismus und der Volkstümlerbewegung zur Erforschung des Gesetzes der ökonomischen Entwicklung Russlands – der Grundlage aller übrigen Lebensäußerungen des Landes – zu veranlassen. Ohne Kenntnis dieses Gesetzes ist eine systematische und erfolgreiche gesellschaftliche Tätigkeit unmöglich, während die bei uns herrschenden Vorstellungen von der nächsten Zukunft Russlands kaum als Gesetz“ (Vorstellungen sollen ein Gesetz sein?!) „bezeichnet werden können und kaum fähig sind, der praktischen Weltanschauung eine sichere Grundlage zu geben.“ (Vorwort, S. 1)

Im Jahre 1893 erweist es sich, dass dem gleichen Herrn W. W., der inzwischen „vereidigter“ – wenn auch, leider! immer noch nicht „gelehrter“ – Publizist der Volkstümlerbewegung geworden ist, der Gedanke fern liegt, das Gesetz der ökonomischen Entwicklung sei „die Grundlage aller übrigen Lebensäußerungen des Landes“. Jetzt überfällt er „mit dem gesamten Arsenal“ die „Weltanschauung“ jener Menschen, die eine solche „Ansicht“ vertreten, jetzt glaubt er, dass sich bei dieser „Ansicht der historische Prozess, statt ein Produkt des Menschen zu sein, in die Produktivkraft verwandelt, der Mensch aber in sein gefügiges Werkzeug“ [P]; jetzt hält er die sozialen Verhältnisse für „das Produkt der Geisteswelt des Menschen“ [Q] und bringt der Lehre von der Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Erscheinungen größtes Misstrauen entgegen, wobei er ihr die „wissenschaftliche Geschichtsphilosophie des Geschichtsprofessors N. I. Karejew entgegenstellt“ (hört, o Männer, und unterwerft euch, dieweil der Herr Professor in eigener Person mit uns ist!). [R]

Welche Wendung mit Gottes Hilfe! Was hat sie hervorgerufen? Es ist folgendes. Im Jahre 1882 suchte Herr W. W. das „Gesetz der ökonomischen Entwicklung Russlands“ und bildete sich dabei ein, dieses Gesetz werde nur der wissenschaftliche Ausdruck seiner, des Herrn W. W., eigener „Ideale“ sein. Er war sogar überzeugt, dieses „Gesetz“, und zwar das „Gesetz“ vom Totgeborensein des russischen Kapitalismus, gefunden zu haben. Doch seitdem hat er volle elf Jahre und keineswegs umsonst fortgelebt. Er musste, wenn auch nicht vernehmlich, zugeben, dass sich der totgeborene Kapitalismus weiter und weiter entwickelt. Es kam dahin, dass die Entwicklung des Kapitalismus vielleicht zum unbestreitbarsten „Gesetz der ökonomischen Entwicklung Russlands“ wurde. Nun beeilte sich Herr W. W., seine „Geschichtsphilosophie“ umzukrempeln; er, der ein „Gesetz“ gesucht hatte, begann zu erzählen, diese Sucherei sei eine völlig müßige Zeitvergeudung. Der russische Utopist ist nicht abgeneigt, sich auf ein „Gesetz“ zu stützen; er sagt sich aber sofort von ihm los, wie Petrus von Jesu, sobald das „Gesetz“ nur jenen „Idealen“ widerspricht, die es auf Biegen oder Brechen zu stützen hat. Im Übrigen hat sich Herr W. W. auch jetzt nicht ein für allemal mit dem „Gesetz“ überworfen. „Das natürliche Streben zur Systematisierung der Anschauungen sollte die russische Intelligenz zum Aufbau eines selbständigen Schemas der Evolution ökonomischer Verhältnisse führen, wie sie den Bedürfnissen und Entwicklungsbedingungen unseres Landes entsprechen; und diese Arbeit wird zweifelsohne in nächster Zukunft vollbracht werden“ (Naschi naprawlenija, S. 114). Beim „Aufbau“ ihres „selbständigen Schemas“ wird sich die russische Intelligenz offenbar der gleichen Tätigkeit hingeben, der sich Herr W. W. in den „Geschicken des Kapitalismus“ widmete: der Suche nach dem „Gesetz“. Ist das Schema erst gefunden – und Herr W. W. schwört darauf, dass das in allernächster Zukunft geschieht –, dann wird sich unser Verfasser ebenso feierlich mit der Gesetzmäßigkeit aussöhnen, wie sich im Evangelium der Vater mit dem verlorenen Sohn aussöhnte. Das sind Spaßvögel! Selbstverständlich hat sich Herr W. W. auch zu der Zeit, als er noch nach dem „Gesetz“ suchte, keine klare Rechenschaft darüber abgelegt, welchen Sinn dieses Wort in Bezug auf gesellschaftliche Erscheinungen habe. Er betrachtete das „Gesetz“, wie es die Utopisten der zwanziger Jahre betrachteten. Nur so kann man seine Hoffnung erklären, das Entwicklungsgesetz eines Landes – Russlands – zu entdecken. Warum schreibt er aber seine Gedankengänge den russischen Marxisten zu? Er irrt, wenn er meint, sie seien in ihrer Vorstellung von der Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Erscheinungen nicht über die Utopisten hinausgegangen. Dass er das aber glaubt, zeigen alle seine an sie gerichteten Entgegnungen. Doch er denkt nicht allein so; so denkt selbst der Herr „Geschichtsprofessor“ Karejew; so denken alle Gegner des „Marxismus“. Erst schreiben sie den Marxisten utopische Ansichten über die Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Erscheinungen zu, und dann widerlegen sie diese Ansichten mit mehr oder weniger zweifelhaftem Erfolg. Wahrlich, ein Kampf gegen Windmühlen.

Übrigens, der gelehrte „Geschichtsprofessor“! Den subjektiven Gesichtspunkt bei der Betrachtung der historischen Entwicklung der Menschheit empfiehlt er mit den folgenden Ausdrücken: „Wenn wir uns in der Philosophie der Geschichte für die Frage des Fortschritts interessieren, so ergibt sich dadurch eine Auswahl an wesentlichem Gehalt der Wissenschaft, an ihren Tatsachen und deren Gruppierungen. Tatsachen aber können weder erdacht noch in erdachte Beziehungen zueinander gebracht werden“ (so dürfte also weder an der Auswahl noch an der Gruppierung irgendetwas Willkürliches sein? Folglich müsste die Gruppierung völlig der objektiven Wirklichkeit entsprechen? Jawohl! Aber man höre weiter!), „und eine Darstellung des Ablaufs der Geschichte von einem gewissen Standpunkt aus bleibt objektiv im Sinne einer richtigen Darstellung. Hier betritt ein Subjektivismus anderer Art die Bühne: Die schöpferische Synthese kann eine ganze ideale Welt von Normen, eine Welt des Sollenden, eine Welt des Wahren und Gerechten schaffen, mit der die wirkliche Geschichte, das heißt die objektive Darstellung ihres Verlaufs, vom Standpunkt der wesentlichen Veränderungen im Leben der Menschheit auf bestimmte Art zusammengefasst und verglichen werden wird. Auf der Basis dieses Vergleichs entsteht eine Bewertung des historischen Prozesses, die jedoch nicht willkürlich sein darf. Es muss bewiesen werden, dass die zusammengefassten Tatsachen so, wie sie uns gegeben sind, tatsächlich jene Bedeutung besitzen, die wir ihnen beimessen, wenn wir einen bestimmten Standpunkt bezogen, ein bestimmtes Kriterium ihrer Beurteilung angenommen haben.“

Bei Schtschedrin sagt ein „ehrwürdiger Moskauer Historiker“, der sich mit seiner Objektivität brüstet: Mir ist es egal, ob Jaroslaw den Isjaslaw oder Isjaslaw den Jaroslaw geschlagen hat. Herrn Karejew, der sich „eine ganze ideale Welt von Normen, eine Welt des Sollenden, eine Welt des Wahren und Gerechten“ schuf, ist diese Art der Objektivität fremd. Er sympathisiert – nehmen wir an – mit Jaroslaw, und wenn er es auch nicht wagen würde, dessen Niederlage als Sieg hinzustellen („Tatsachen können nicht erdacht werden“), so behält er sich doch das kostbare Recht vor, dem traurigen Geschick Jaroslaws manche Träne nachzuweinen, und kann sich nicht beherrschen, dem Sieger, Isjaslaw, einen Fluch nachzurufen. Gegen einen solchen „Subjektivismus“ lässt sich wenig sagen. Doch stellt ihn Herr Karejew ganz unnützerweise in einer so blassen und darum harmlosen Art dar. Ihn so darstellen heißt seine wahre Natur missverstehen, heißt ihn in einer Flut sentimentaler Phrasen ertränken. In Wirklichkeit erkennt man „subjektive“ Denker daran, dass die „Welt des Sollenden, eine Welt des Wahren und Gerechten“ bei ihnen ohne jeden Zusammenhang mit dem objektiven Verlauf der geschichtlichen Entwicklung steht: hier – „das Sollende, dort – „das Wirkliche“; und diese beiden Gebiete sind voneinander durch einen ganzen Abgrund getrennt, eben den Abgrund, der bei den Dualisten die materielle Welt von der geistigen trennt. Die Aufgabe der Gesellschaftswissenschaft des 19. Jahrhunderts bestand unter anderem darin, über diesen anscheinend bodenlosen Abgrund eine Brücke zu schlagen. Solange wir diese Brücke nicht geschlagen haben, werden wir die Augen vor dem Wirklichen notwendigerweise verschließen und unsere ganze Aufmerksamkeit auf das „Sollende“ konzentrieren (wie es zum Beispiel die Saint-Simonisten taten), wodurch sich die Verwirklichung dieses „Sollenden“ naturgemäß verzögert, da es die Bildung der richtigen Ansicht von ihm erschwert.

Wir wissen schon, dass die Historiker der Restaurationsepoche, im Gegensatz zu den Aufklärern des 18. Jahrhunderts, die politischen Einrichtungen eines Landes als das Ergebnis seiner Lebensweise betrachteten. Diese neue Ansicht verbreitete und verstärkte sich in jener Zeit in einem Maße, dass sie – auf Fragen der Praxis angewandt – in höchst sonderbare, uns kaum noch verständliche Übertreibungen ausartete. So behauptete J. B. Say, politische Fragen dürften den Ökonomen nicht interessieren, da sich die Volkswirtschaft auch bei diametral entgegen gesetzten politischen Systemen gleich gut entwickeln könne. Saint-Simon hebt diesen Gedanken Says lobend hervor, haucht ihm allerdings einen etwas tieferen Inhalt ein. Mit ganz wenigen Ausnahmen haben alle Utopisten des 19. Jahrhunderts diese Ansicht über die „Politik“ geteilt.

Theoretisch ist diese Meinung in zweierlei Hinsicht falsch. Erstens ließen ihre Vertreter außer Acht, dass wir es im gesellschaftlichen Leben – wie überall – mit einem Prozess, nicht aber mit einer Einzelerscheinung zu tun haben; die Wirkung wird ihrerseits zur Ursache, und die Ursache erweist sich als Wirkung; kürzer gesagt, sie verließen hier, sehr zur Unzeit, jenen Standpunkt der Wechselwirkung, auf die sich ihre Analyse in anderen Fällen, ebenfalls zur Unzeit, beschränkte; zweitens, wenn politische Verhältnisse die Wirkung sozialer Verhältnisse sind, bleibt es unverständlich, wie grundverschiedene Wirkungen (politische Einrichtungen genau entgegen gesetzten Charakters) durch ein und dieselbe Ursache – durch den gleichen Zustand des „Reichtums“ – hervorgerufen werden sollten. Offensichtlich bleibt hier der eigentliche Begriff der kausalen Verbundenheit der politischen Einrichtungen eines Landes mit seinem ökonomischen Zustand noch äußerst nebelhaft. Und es wäre in der Tat nicht schwer, zu zeigen, wie nebelhaft dieser Begriff bei allen Utopisten ist.

In der Praxis zeitigte diese Nebelhaftigkeit zweierlei. Einerseits waren die Utopisten, die soviel über die Organisation der Arbeit sprachen, bereit, gelegentlich die alte Devise des 18. Jahrhunderts: «laissez faire, laissez passer!» [5] zu wiederholen; so sagt Saint-Simon, der die vornehmste Aufgabe des 19. Jahrhunderts in der Organisation der Industrie sieht: «l’industrie a besoin d’être gouvernée le moins possible» (die Industrie soll sowenig wie möglich geleitet werden). [S] Anderseits standen die Utopisten – wiederum mit wenigen Ausnahmen, die sich auf eine spätere Zeit beziehen – der Tagespolitik, den politischen Tagesfragen völlig gleichgültig gegenüber.

Die politische Struktur sei eine Wirkung, aber keine Ursache. Eine Wirkung bleibe immer Wirkung und verwandle sich nicht aus sich heraus in eine Ursache. Daraus lasse sich fast unmittelbar folgern, dass die „Politik“ nicht als Mittel zur Verwirklichung gesellschaftlich-ökonomischer „Ideale“ dienen könne. So wird die Psychologie des Utopisten, der sich von der Politik abkehrt, verständlich. Worauf bauten sie aber, wenn sie an die Verwirklichung ihrer Pläne zu einer gesellschaftlichen Umgestaltung gehen wollten? Was lag ihren praktischen Hoffnungen zugrunde? Alles und nichts. Alles – in dem Sinne, dass sie von den entgegen gesetztesten Seiten gleichermaßen Hilfe erwarteten. Nichts – in dem Sinne, dass alle ihre Hoffnungen völlig unbegründet waren.

Die Utopisten hielten sich für außerordentlich praktische Leute. Sie hassten „Doktrinäre“ und brachten deren größte Prinzipien bedenkenlos den eigenen idées fixes zum Opfer. Sie waren weder Liberale noch Konservative, weder Monarchisten noch Republikaner; sie waren gleichermaßen bereit, sowohl mit Liberalen als auch mit Konservativen, sowohl mit Monarchisten als auch mit Republikanern zu gehen, nur um ihre eigenen „praktischen“ und, wie sie meinten, außerordentlich zweckmäßigen Pläne zu verwirklichen. Unter den alten Utopisten ist in dieser Hinsicht Fourier besonders bemerkenswert. Wie der Gogolsche Kostanschoglo wollte er jeden Plunder verwerten. Bald malte er den Wucherern aus, welche ungeheuren Zinsen ihnen ihre Kapitalien in der künftigen Gesellschaft bringen würden; bald appellierte er an Liebhaber von Melonen und Artischocken und lockte sie durch die ausgezeichneten Melonen und Artischocken der Zukunft; bald redete er Louis Philippe ein, die Prinzessinnen aus dem Hause Orleans, gegenwärtig von Prinzen fürstlichen Geblüts verschmäht, würden sich in der neuen Gesellschaftsordnung vor Bewerbern nicht zu retten wissen. Er klammerte sich an jeden Strohhalm! Doch o weh! Weder die Wucherer noch die Liebhaber von Melonen und Artischocken und auch nicht der „Bürgerkönig“ kehrten sich daran, sie schenkten Fouriers scheinbar tief überzeugenden Erwägungen nicht die geringste Beachtung. Sein praktischer Sinn war von Anbeginn zum Misserfolg, zur unerfreulichen Jagd nach dem glücklichen Zufall verurteilt.

Mit der Jagd nach dem glücklichen Zufall waren schon die Aufklärer des 18. Jahrhunderts eifrig beschäftigt. Gerade in der Hoffnung auf einen solchen Zufall bemühten sie sich um freundschaftliche Beziehungen zu mehr oder weniger aufgeklärten „Gesetzgebern“ und Aristokraten jener Zeit. Meistens glaubt man, dass ein Mensch, der sich gesagt hat: die Ansichten regieren die Welt, keinen Anlass mehr hat, sich um die Zukunft zu sorgen: La raison finira par avoir raison. [6] Doch dem ist nicht so. Wann, auf welchem Wege wird die Vernunft triumphieren? Die Aufklärer sagten, im gesellschaftlichen Leben komme es letzten Endes auf den „Gesetzgeber“ an. Darum angelten sie auch nach den Gesetzgebern. Die gleichen Aufklärer wussten jedoch sehr gut, dass Charakter und Ansichten eines Menschen von der Erziehung abhängen und dass, allgemein gesagt, die „Gesetzgeber“ durch ihre Erziehung nicht gerade für die Annahme aufklärerischer Lehren empfänglich gemacht wurden. So mussten sie erkennen, wie wenig von den Gesetzgebern zu erwarten sei. Und so konnten sie nur noch auf den glücklichen Zufall hoffen. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen großen Kasten, in dem sich sehr viele schwarze und nur zwei oder drei weiße Kugeln befinden. Sie nehmen eine Kugel nach der anderen heraus. In jedem Einzelfall haben Sie sehr viel geringere Chancen, eine weiße Kugel zu greifen als eine schwarze. Doch wenn Sie diesen Vorgang oft genug wiederholen, werden Sie schließlich auch eine weiße Kugel ziehen. So auch mit den „Gesetzgebern“. In jedem einzelnen Fall ist es viel wahrscheinlicher, dass der Gesetzgeber gegen die „Philosophen“ ist, doch schließlich erscheint auch einmal ein Gesetzgeber, der mit den Philosophen einverstanden sein wird. Dieser wird nun alles tun, was die Vernunft vorschreibt. So, buchstäblich so, dachte Helvétius. [T] Die subjektiv idealistische Ansicht von der Geschichte („die Ansichten regieren die Welt“), die der Freiheit des Menschen angeblich soviel Platz zuweist, macht ihn tatsächlich zum Spielball des Zufalls. Darum ist diese Ansicht eigentlich sehr trostlos.

So kennen wir zum Beispiel kaum etwas Trostloseres als die Ansichten der Utopisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das heißt der russischen Volkstümler und subjektiven Soziologen. Jeder unter ihnen hat einen fertigen Plan zur Rettung der Dorfgemeinschaft und damit der Bauernschaft überhaupt bereit, jeder hat seine eigene „Formel des Fortschritts“. Doch o weh! Das Leben geht seinen eigenen Gang, es beachtet ihre Formeln nicht, denen nun nichts weiter übrigbleibt, als sich ebenfalls einen eigenen, vom Leben unabhängigen Weg zur Abstraktion, zur Phantasie und zu logischen Missgeschicken zu bahnen. Hören wir zum Beispiel den Achilles der subjektiven Schule, Herrn Michailowski:

„Die Arbeiterfrage in Europa ist eine revolutionäre Frage, da sie dort die Übergabe der Arbeitsbedingungen (?) in die Hände der Arbeitenden, die Enteignung der jetzigen Besitzer verlangt. Die Arbeiterfrage in Russland ist eine konservative Frage, da sie hier nur die Erhaltung der Arbeitsbedingungen in den Händen des Arbeitenden, eine Garantie des Eigentums für den jetzigen Besitzer verlangt. In unmittelbarer Nähe von Petersburg ..., in einem Gebiet, das von Fabriken, Werken, Parks, Villen übersät ist, gibt es Dörfer, deren Bewohner auf ihrem Land leben, die ihr Brot essen, sich in Joppen und Pelze ihrer Arbeit, aus der Wolle ihrer Schafe, kleiden. Man garantiere ihnen dieses Ihrige, und die russische Arbeiterfrage ist gelöst. Für dieses Ziel kann man aber alles hergeben, wenn man die Bedeutung einer sicheren Garantie nur richtig begreift. Hier wird eingewendet: Man dürfe nicht ewig beim Hakenpflug und bei der Dreifelderwirtschaft, bei vorsintflutlichen Produktionsmethoden in der Herstellung von Joppen und Pelzen stehenbleiben. Allerdings, das darf man nicht. Aus dieser Situation gibt es zwei Auswege. Der eine, der vom praktischen Gesichtspunkt befürwortet wird, ist sehr einfach und bequem: Man erhöhe den Tarif, löse die Dorfgemeinschaft auf, und das dürfte schon genügen – eine Industrie, wie die englische, wird aus dem Boden schießen wie Pilze. Sie wird den Arbeiter aber fressen, ihn expropriieren. Es gibt noch einen anderen Weg, natürlich einen viel schwereren, doch bedeutet die leichte Lösung einer Frage noch nicht, dass sie die richtige sei. Der andere Weg besteht in der Weiterentwicklung eben der Arbeits- und Eigentumsverhältnisse, die, allerdings in sehr grober, primitiver Form, bereits existieren und vorhanden sind. Verständlicherweise kann dieses Ziel nicht ohne weitgehende staatliche Einmischung erreicht werden, deren erster Akt in einer gesetzgeberischen Verankerung der Dorfgemeinschaft bestehen muss.“ [U]

„Auf der weiten Welt
Gibt’s fürs freie Herz
Zwei Wege.
Ermiss die stolze Kraft,
Ermiss den festen Willen,
Welchen Weg du wählst!“

Uns schwant, dass alle diese Ausführungen unseres Verfassers stark nach Melonen und Artischocken riechen. Unser Geruchssinn trügt uns wohl kaum. Was war Fouriers Fehler in Sachen der Melonen und Artischocken? Der, dass er sich der „subjektiven Soziologie“ hingab. Ein objektiver Soziologe hätte sich gefragt: Besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Liebhaber von Melonen und Artischocken für das von mir entworfene Bild begeistern? Ferner hätte er sich gefragt: Sind die Liebhaber von Melonen und Artischocken imstande, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und den Verlauf ihrer Entwicklung zu ändern? Höchstwahrscheinlich hätte er jede dieser Fragen verneinen und so auch keine Zeit für ein Gespräch mit diesen „Liebhabern“ zu verlieren brauchen. So würde ein objektiver Soziologe handeln, das heißt ein Mensch, der alle seine Erwägungen auf den tatsächlichen gesetzmäßigen Ablauf der gesellschaftlichen Entwicklung gründet. Der subjektive Soziologe jedoch verjagt die Gesetzmäßigkeit um des „Wünschenswerten“ willen, und es bleibt ihm kein anderer Ausweg als die Hoffnung auf den Zufall. So Gott will, kann man auch mit einem Stock schießen – das ist die einzige trostreiche Überlegung, auf die sich der gute subjektive Soziologe stützen kann.

So Gott will, kann man auch mit einem Stock schießen. Ein Stock hat aber zwei Enden, und man weiß nicht, aus welchem er schießt. Unsere Volkstümler und, wenn man sich so ausdrücken darf, Subjektivisten haben bereits eine Unmenge Stöcke ausprobiert (selbst Erwägungen über eine bequeme Art, im Gemeinbesitz an Grund und Boden rückständige Zahlungen einzutreiben, sind schon in der Rolle dieses magischen Stockes aufgetreten). In der erdrückenden Mehrzahl der Fälle erwiesen sich die Stöcke als völlig ungeeignet, die Rolle von Gewehren zu spielen; wenn sie aber zufällig einmal schössen, so trafen die Kugeln die Herren Volkstümler und Subjektivisten selbst. Denken wir an die Bauernbank. Welche Hoffnungen setzte man nicht auf sie im Sinne einer Festigung der „Grundstützen“! Wie jubelten die Herren Volkstümler bei ihrer Eröffnung! Und was ist daraus geworden? Der Stock schoss gerade auf die Jubelnden; jetzt geben sie selbst zu, dass die Bauernbank – eine in jedem Falle sehr nützliche Einrichtung – jene „Grundstützen“ nur desorganisiert; dieses Zugeständnis ist gleichsam ein Bekenntnis, dass sie, die Jubelnden, zumindest zeitweilig, müßige Schwätzer gewesen sind.

„Die Bank desorganisiert die Grundstützen aber nur deshalb, weil ihre Satzungen und ihre Praxis unserer Idee nicht ganz entsprechen. Wäre unsere Idee voll und ganz zur Ausführung gelangt, dann würden sich auch ganz andere Ergebnisse gezeigt haben ...“

„Erstens durchaus keine anderen; die Bank würde die Entwicklung der Geldwirtschaft in jedem Falle begünstigt, die Geldwirtschaft aber unbedingt die &bsquo;Grundstützen‘ untergraben haben. Und zweitens, wenn wir diese zahllosen &bsquo;wenn‘ hören, scheint es uns immer, dass unter unserem Fenster ein Hausierer ausruft: &bsquo;Melonen, Artischocken, pri-i-ma Qualität!‘“

Schon in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts wiesen die französischen Utopisten unermüdlich auf den „konservativen“ Charakter der von ihnen erdachten Reformen hin. Saint-Simon schreckte geradezu sowohl die Regierung als auch, wie man bei uns sagt, die Gesellschaft mit einem Volksaufstand, der sich damals in der Phantasie der „Konservativen“ als eine furchtbare, noch allen in frischer Erinnerung haftende Bewegung der Sansculotten darstellte. Doch sprang natürlich aus diesem Einschüchterungsversuch nichts heraus, und wenn die Geschichte uns wirklich gewisse Lektionen erteilt, so erweist sich die als die lehrreichste, die die völlige Unverwendbarkeit aller Pläne aller angeblich praktischen Utopisten darlegt.

Als die Utopisten, mit einem Hinweis auf den konservativen Charakter ihrer Pläne, die Regierung zu überreden versuchten, sie zu verwirklichen, brachten sie zur Bestätigung ihres Gedankens eine Übersicht über die geschichtliche Entwicklung ihres Landes während einer mehr oder weniger langen Zeit vor – eine Übersicht, aus der hervorging, dass dann und wann „Fehler“ gemacht worden seien, die allen gesellschaftlichen Verhältnissen eine völlig neue und äußerst unerwünschte Form verliehen hätten. Die Regierung brauche diese „Fehler“ nur einzusehen und zu korrigieren, und sofort werde auf Erden so etwas wie das Himmelreich entstehen.

So versuchte Saint-Simon die Bourbonen zu überzeugen, dass das Hauptmerkmal der inneren Entwicklung Frankreichs vor der Revolution der Bund der Monarchie mit den Produzenten gewesen sei. Dieser Bund sei für beide Seiten gleich vorteilhaft gewesen. Während der Revolution trat die Regierung infolge eines Missverständnisses den legitimen Forderungen der Produzenten entgegen, und die Produzenten erhoben sich infolge eines ebenso traurigen Missverständnisses gegen die Monarchie. Daher das ganze Übel der nachfolgenden Zeit. Jetzt aber, wo des Übels Wurzel entdeckt sei, lasse sich die Sache sehr leicht wieder einrenken, da es doch nur nötig sei, dass sich die Produzenten unter bestimmten Bedingungen mit der Regierung aussöhnten. Das sei eben der vernünftigste konservative Ausweg aus den zahlreichen Schwierigkeiten beider Parteien. Es ist wohl überflüssig hinzuzufügen, dass weder die Bourbonen noch die Produzenten dem gütigen Rat Saint-Simons gefolgt sind.

„Statt sich fest an unsere jahrhundertealten Traditionen zu halten, statt das von uns ererbte Prinzip der engen Bindung der Produktionsmittel an den unmittelbaren Erzeuger zu entwickeln; statt die Errungenschaften der westeuropäischen Wissenschaft zu benutzen und sie für die Entwicklung der auf dem bäuerlichen Besitz an den Produktionsmitteln beruhenden Form der Produktion einzusetzen; statt die Arbeitsproduktivität der Bevölkerung durch Konzentrierung der Produktionsmittel in ihren Händen zu steigern; statt die eigentliche Organisation der Produktion, wie sie in Westeuropa in Erscheinung tritt, und nicht nur die Form der Produktion, zu benutzen; ... statt all dessen haben wir den entgegen gesetzten Weg beschritten. Wir sind nicht nur nicht der Entwicklung kapitalistischer Produktionsformen entgegengetreten, obwohl sie auf einer Enteignung der Bauernschaft beruhen, sondern haben mit all unseren Kräften die gründliche Zerschlagung unseres Wirtschaftslebens gefördert – eine Zerschlagung, die zur Hungersnot des Jahres 1891 geführt hat.“ [V]

So lamentiert Herr N–on und empfiehlt der „Gesellschaft“, diesen Fehler zu korrigieren, indem sie die „äußerst schwere“, jedoch nicht „unmögliche“ Aufgabe löst: „die Produktivkräfte der Bevölkerung in einer Art zu entwickeln, dass nicht eine unbedeutende Minderheit, sondern das ganze Volk sie benutzen kann“. [W] Es kommt nur darauf an, den „Fehler“ zu korrigieren.

Es ist interessant, dass sich Herr N–on einbildet, allen Utopien gänzlich fern zu stehen. Alle Augenblicke beruft er sich auf Menschen, denen wir eine wissenschaftliche Kritik des utopischen Sozialismus verdanken. Von der Wirtschaft des Landes hänge alles ab, redet er diesen Menschen zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit nach, von ihr rühre das ganze Übel: „darum muss das Mittel zur Beseitigung des einmal gefundenen Übels gerade in der Veränderung der Produktionsverhältnisse bestehen“. In der Erläuterung erscheint wieder ein Hinweis auf einen der Kritiker des utopischen Sozialismus: „diese Mittel dürfen nicht vom Verstand erfunden, sondern müssen mit Hilfe des Denkens den vorhandenen materiellen Produktionsverhältnissen entnommen werden“.

Worin bestehen nun jene „materiellen Produktionsverhältnisse“, die die Gesellschaft zur Lösung oder mindestens zur Stellung der ihr von Herrn N–on vorgeschlagenen Aufgabe bewegen sollen? Das bleibt nicht nur dem Leser ein Geheimnis, sondern natürlich auch dem Verfasser selbst, der durch seine „Aufgabe“ sehr überzeugend gezeigt hat, dass er in seinen geschichtlichen Anschauungen vollblütiger Utopist bleibt – ungeachtet der Zitate aus den Werken ganz und gar nicht utopischer Verfasser. [X]

Kann man denn behaupten, dass Fouriers Pläne den „materiellen Verhältnissen“ der zeitgenössischen Produktion widersprachen? Nein, sie widersprachen ihnen nicht nur nicht, sondern sie gründeten sich, selbst hinsichtlich ihrer Mängel, völlig auf diese Verhältnisse. Das hinderte Fourier jedoch nicht, Utopist zu sein, weil er – nachdem er einmal seinen Plan „mit Hilfe des Denkens“ auf die materiellen Verhältnisse der zeitgenössischen Produktion gegründet hatte – es nicht verstand, dessen Verwirklichung den gleichen Verhältnissen anzupassen, und sich darum ganz sinnloser Weise mit der „großen Aufgabe“ an solche gesellschaftlichen Klassen und Schichten anbiederte, die infolge der gleichen materiellen Verhältnisse weder geneigt waren, die Lösung in Angriff zu nehmen, noch fähig waren, sie zu lösen. Herr N–on sündigt in dieser Hinsicht ebenso sehr wie Fourier oder der ihm verhasste Rodbertus; vor allem erinnert er gerade an Rodbertus, da der Hinweis des Herrn N–on auf die jahrhundertealten Grundstützen genau der Art dieses konservativen Schriftstellers entspricht.

Um die „Gesellschaft“ zur Vernunft zu bringen, weist Herr N–on auf das erschreckende Beispiel Westeuropas hin. Mit solchen Hinweisen haben sich unsere Utopisten von jeher bemüht, sich das Ansehen solider, Phantastereien nicht zugänglicher, sondern nur die „Lektionen der Geschichte“ wahrnehmender Menschen zu geben. Aber auch diese Methode ist keineswegs neu. Schon die französischen Utopisten versuchten ihre Zeitgenossen durch das Beispiel Englands, wo „ein ungeheurer Abstand den Unternehmer vom Arbeiter trennt“, wo letzterer unter einer besonderen Art von Despotismus leide, einzuschüchtern und zur Vernunft zu bringen. „Die übrigen Länder, die nach England den Weg der industriellen Entwicklung einschlagen“, sagte «Le Producteur», „müssen begreifen, dass die Entstehung einer solchen Ordnung auf ihrem eigenen Territorium vermieden werden muss.“ [Y] Die einzig wirksame Art, das Aufkommen englischer Zustände in anderen Ländern zu verhindern, ist die Saint-Simonsche „Organisation der Arbeit und der Arbeitenden“. [Z] Mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung in Frankreich verlagerte sich der Hauptschauplatz der Träumereien, den Kapitalismus zu umgehen, nach Deutschland, das sich in Gestalt seiner Utopisten „Westeuropa“ (den westlichen Ländern) lange hartnäckig entgegenstellte. In den westlichen Ländern, so sagten die deutschen Utopisten, ist die Arbeiterklasse Trägerin der Ideen einer neuen gesellschaftlichen Organisation, bei uns sind es die gebildeten Klassen (das, was man in Russland als Intelligenz bezeichnet). Gerade die deutsche „Intelligenz“ wurde für berufen gehalten, den Kelch des Kapitalismus von Deutschland fernzuhalten. [a] Der Kapitalismus galt bei den deutschen Utopisten als etwas derart Schreckliches, dass sie – um ihn zu umgehen – bereit waren, sich schlimmstenfalls mit völliger Stagnation zufriedenzugeben. Der Triumph der konstitutionellen Ordnung, so meinten sie, werde zur Herrschaft der Geldaristokratie führen. Darum solle es lieber keine konstitutionelle Ordnung geben. [b] Deutschland konnte dem Kapitalismus nicht ausweichen. Über das gleiche Ausweichen sprechen jetzt die russischen Utopisten. So wandern die utopischen Ideen von Westen nach Osten, erscheinen überall als Vorboten des Sieges des gleichen Kapitalismus, gegen den sie sich erheben und den sie bekämpfen. Je weiter sie jedoch nach Osten vordringen, desto stärker verändert sich ihre historische Bedeutung. Die französischen Utopisten waren zu ihrer Zeit mutige, geniale Neuerer; die deutschen standen auf erheblich tieferem Niveau; die russischen Utopisten aber sind nur imstande, die Menschen im Westen durch ihr vorsintflutliches Gebaren zu ängstigen.

Es ist interessant, dass schon bei den französischen Aufklärern der Gedanke aufkam, den Kapitalismus zu vermeiden. So bedauerte Holbach heftig, dass der Triumph der konstitutionellen Ordnung in England zur völligen Herrschaft de l’:intérêt sordide des marchands. [7] geführt habe. Die Tatsache, dass die Engländer ständig nach neuen Märkten suchen, betrübte ihn sehr. Diese Jagd nach Märkten lenke sie von der Philosophie ab. Holbach verurteilte auch die in England bestehende Ungleichheit des Besitzes. Er, wie auch Helvétius, wollte gern der Vernunft und der Gleichheit, nicht aber dem kaufmännischen Interesse den Triumph bereiten. Aber weder Holbach oder Helvétius noch irgend ein anderer Aufklärer konnte dem damaligen Lauf der Dinge etwas anderes entgegensetzen als Lobgesänge auf die Vernunft und erbauliche Belehrungen an die Adresse du «peuple d’Albion». [8] In dieser Hinsicht waren sie ebenso machtlos wie unsere Zeitgenossen, die russischen Utopisten.

Noch eine Bemerkung, und wir sind mit den Utopisten fertig. Der Gesichtspunkt der „menschlichen Natur“ brachte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jenen Missbrauch biologischer Analogien hervor, der sich in der westlichen soziologischen und besonders in der russischen quasi-soziologischen Literatur bis auf den heutigen Tag noch spürbar macht.

Wenn man die Lösung des Rätsels der ganzen historischen gesellschaftlichen Bewegung in der Natur des Menschen suchen müsse und wenn, wie schon Saint-Simon richtig bemerkte, die Gesellschaft aus Individuen bestehe, so müsse die Natur des Individuums den Schlüssel zur Erklärung der Geschichte liefern. Die Natur des Individuums erforsche die Physiologie im weiteren Sinne dieses Wortes, das heißt die Wissenschaft, die auch die psychischen Erscheinungen erfasse. Darum ist die Physiologie in den Augen Saint-Simons und seiner Schüler die Grundlage der Soziologie, die sie Sozialphysik nannten. In den noch zu Lebzeiten Saint-Simons und unter seiner tätigen Mitarbeit herausgegebenen «Opinions philosophiques, littéraires et industrielles» ist unter der Überschrift «De la physiologie appliquée à l’amélioration des institutions sociales» („Über die Physiologie, angewandt auf die Verbesserung der gesellschaftlichen Einrichtungen“) ein außerordentlich interessanter, leider unvollendeter Aufsatz eines anonymen Doktors der Medizin abgedruckt. Der Verfasser betrachtet die Wissenschaft von der Gesellschaft als einen Bestandteil der „allgemeinen Physiologie“, die, bereichert durch Beobachtungen und Versuche der „speziellen Physiologie“ an Individuen, „sich Überlegungen höherer Ordnung“ hingebe. Die Individuen erschienen in ihr „nur als Organe des gesellschaftlichen Körpers“, dessen Funktion sie erforsche, „genau wie die spezielle Physiologie die Funktionen der Individuen erforscht“. Die allgemeine Physiologie erforsche (der Verfasser sagt: drückt aus) die Gesetze der gesellschaftlichen Existenz, mit denen auch die geschriebenen Gesetze übereinstimmen müssten. In der Folge haben bürgerliche Soziologen, wie Spencer, die Lehre vom gesellschaftlichen Organismus im Sinne der konservativsten Schlussfolgerungen ausgenutzt. Doch ist der von uns zitierte Doktor der Medizin vor allem ein Reformator. Er erforscht den „gesellschaftlichen Körper“ zwecks gesellschaftlicher Umgestaltung, da nur die „Sozialphysiologie“ und die mit ihr eng verbundene „Hygiene“ „positive Grundlagen“ ergäben, „auf denen man ein vom jetzigen Zustand der zivilisierten Welt gefordertes System der gesellschaftlichen Organisation erbauen könne“. Doch offensichtlich haben Sozialphysiologie und Hygiene der reformatorischen Phantasie des Verfassers nicht viel Nahrung geliefert, denn er sieht sich letzten Endes genötigt, sich an die Mediziner zu wenden, das heißt an Menschen, die es mit individuellen Organismen zu tun haben, und sie zu bitten, der Gesellschaft „als hygienisches Rezept“ „ein System der sozialen Einrichtung“ zu geben.

Diese Ansicht von der „Sozialphysik“ wurde später von Auguste Comte in seinen verschiedenen Werken wiedergekäut oder, wenn Sie wollen, weiterentwickelt. Über die Gesellschaftswissenschaft sagte er bereits in seiner Jugend, als er Mitarbeiter des Saint-Simonschen «Le Producteur» war, folgendes:

„Die gesellschaftlichen Erscheinungen als menschliche Erscheinungen müssen zweifellos den physiologischen zugezählt werden. Wenn aber die Sozialphysik infolgedessen ihren Ausgangspunkt in der individuellen Physiologie haben und mit ihr in ständigem Kontakt stehen muss, soll sie doch als eine völlig selbständige Wissenschaft betrachtet und betrieben werden, und zwar aus dem Grunde, weil verschiedene Generationen der Menschen einander progressiv beeinflussen. Wenn man den rein physiologischen Standpunkt vertritt, kann man diesen Einfluss, dessen Bewertung in der Sozialphysik der Hauptplatz zugewiesen werden muss, nicht eingehend genug erforschen.“ [c]

So sehen Sie sich an, in welch ausweglose Widersprüche sich Leute verstricken, die die Gesellschaft von diesem Standpunkt aus betrachten.

Erstens, da die „Sozialphysik“ in der individuellen Physiologie „ihren Ausgangspunkt“ hat, ruht sie auf einer rein materialistischen Grundlage; die Physiologie hat keinen Platz für eine idealistische Betrachtung des Objekts. Die gleiche Sozialphysik soll sich aber hauptsächlich mit der Bewertung des fortschrittlichen Einflusses einer Generation auf die andere befassen. Eine Generation beeinflusst die folgende, indem sie ihr sowohl das Wissen übergibt, das sie von den früheren Generationen ererbt, als auch jenes, das sie selbst erlangt hat. Die „Sozialphysik“ betrachtet die Entwicklung der Menschheit folglich vom Standpunkt des Wissens und der „Aufklärung“ (lumières) überhaupt. Das ist noch der rein idealistische Standpunkt des 18. Jahrhunderts: Die Ansichten regieren die Welt, Wenn wir diesen idealistischen Standpunkt auf Comtes Empfehlung hin mit dem rein materialistischen der individuellen Physiologie „aufs Engste verbinden“, erweisen wir uns als Dualisten reinsten Wassers, und nichts ist leichter, als den schädlichen Einfluss dieses Dualismus auf die soziologischen Anschauungen meinetwegen des gleichen Comte zu verfolgen. Aber das ist noch nicht alles. Haben doch schon die Denker des 18. Jahrhunderts beobachtet, dass es in der Entwicklung des Wissens eine gewisse Gesetzmäßigkeit gibt. Comte klammert sich an diese Gesetzmäßigkeit und stellt das berüchtigte Gesetz der drei Phasen: der theologischen, metaphysischen und positiven, in den Vordergrund.

Warum aber durchläuft die Entwicklung des Wissens gerade diese drei Phasen? Das entspreche eben der Natur des menschlichen Verstandes, antwortet Comte. „Entsprechend seiner Natur (par sa nature) geht der menschliche Verstand überall, wo er sich betätigt, durch drei verschiedene theoretische Zustände hindurch.“ [d] Ausgezeichnet; nun, zum Studium der „Natur“ müssen wir uns aber der Individualphysiologie zuwenden, die Individualphysiologie gibt uns jedoch keine ausreichende Erklärung, und wir berufen uns auf die „Generationen“, und die „Generationen“ verweisen uns wiederum an die „Natur“. Das nennt sich nun Wissenschaft; doch ist von Wissenschaft hier keine Spur; hier gibt es nur eine endlose Bewegung in einem ausweglosen Kreis.

Unsere angeblich originellen „subjektiven Soziologen“ stehen gänzlich auf dem Standpunkt des französischen Utopisten der zwanziger Jahre.

„Bereits unter dem Einfluss Noschins“, berichtet Herr Michailowski über sich selbst, „und zum Teil unter seiner Anleitung entstand bei mir das Interesse für die Grenzen der Biologie und der Soziologie und für die Möglichkeit, sie einander zu nähern ... Ich kann den mir aus dem Verkehr mit den Ideen Noschins erwachsenen Nutzen nicht hoch genug veranschlagen, doch enthielten sie immerhin viel Zufälliges, teilweise deshalb, weil sie bei Noschin selbst erst im Entstellen begriffen waren, teilweise deshalb, weil er das Gebiet der Naturwissenschaft wenig kannte. Eigentlich erhielt ich von Noschin nur den Anstoß in einer bestimmten Richtung, doch einen starken, entscheidenden und nützlichen Anstoß. Ohne an eingehende Beschäftigung mit Biologie zu denken, las ich doch vieles auf Anraten Noschins und sozusagen sein Vermächtnis befolgend. Dieser neue Strahl des Lesens warf ein eigenartiges und mich außerordentlich fesselndes Licht auf jenen bedeutsamen, wenn auch ungeordneten, zum Teil aber auch unbrauchbaren Stoff sowohl an Ideen als auch an Tatsachen, den ich mir früher angeeignet hatte.“ [e]

Herr Michailowski lässt Noschin in seinen Erzählungen Abwechselnd unter dem Namen „Bucharzew“ auftreten. Bucharzew „träumte von einer Reform der Gesellschaftswissenschaft mit Hilfe der Naturwissenschaft und hatte bereits einen ausführlichen Plan zu diesem Zweck entworfen“. Welcher Art die Methoden dieser Reformtätigkeit waren, ist aus dem folgenden ersichtlich. Bucharzew übersetzt ein umfangreiches Traktat, über Zoologie aus dem Lateinischen ins Russische und versieht die Übersetzung mit seinen Anmerkungen, in die er „die Ergebnisse aller seiner selbständigen Arbeiten einfügen“ will, und zu den Anmerkungen macht er neue Anmerkungen „soziologischen“ Charakters. Herr Michailowski macht den Leser diensteifrig mit einer dieser Anmerkungen zweiter Ordnung bekannt.

„In meinen Ergänzungen zu Van-der-Heven kann ich mich auf keine übermäßig theoretischen Gedankengänge und Schlussfolgerungen über die Anwendung all dieser rein anatomischen Fragen auf die Lösung gesellschaftlich-ökonomischer Fragen einlassen. Daher lenke ich wiederum nur die Aufmerksamkeit des Lesers darauf, dass meine ganze anatomische und embryologische Theorie die Entdeckung der Gesetze der Gesellschaftsphysiologie zum Hauptziel hat und dass daher alle meine weiteren Werke natürlich auf den wissenschaftlichen Daten beruhen werden, die ich in diesem Buch zur Darstellung bringe.“ [f]

Die anatomische und embryologische Theorie „hat die Entdeckung der Gesetze der Gesellschaftsphysiologie zum Hauptziel“! Das ist sehr ungeschickt gesagt und dennoch sehr kennzeichnend für einen utopischen Soziologen. Er stellt eine anatomische Theorie auf und will auf der Grundlage dieser Theorie der ihn umgebenden Gesellschaft eine Reihe „hygienischer Rezepte“ verschreiben. In diesen Rezepten besteht bei ihm eben die Gesellschafts„physiologie“.

Bucharzews Gesellschafts„physiologie“ ist im Grunde genommen keine „Physiologie“, sondern die uns schon bekannte „Hygiene“; nicht die Wissenschaft von dem, was ist, sondern die Wissenschaft von dem, was eigentlich auf Grund der – „anatomischen und embryologischen Theorie“ des gleichen Bucharzew sein müsste.

Obzwar nur eine Kopie Noschins, ist Bucharzew doch bis zu einem gewissen Grade das Produkt des künstlerischen Schaffens des Herrn Michailowski (soweit man im Hinblick auf die zitierten Erzählungen von einem künstlerischen Schaffen sprechen darf). Darum wird diese ungeschickte Anmerkung auch nie wirklich existiert haben. In diesem Falle ist sie besonders charakteristisch für Herrn Michailowski, der sie mit großer Ehrerbietung erwähnt.

„Es passierte mir doch ab und zu in der Literatur, dass ich direkten Widerspiegelungen der Ideen meines unvergesslichen Freundes und Lehrers begegnete“, sagt Tjomkin, in dessen Namen die Erzählung vor sich geht. Herr Michailowski widerspiegelte und widerspiegelt auch jetzt noch die Ideen Bucharzew-Noschins.

Herr Michailowski hat seine eigene „Formel des Fortschritts“.

Diese Formel lautet:

„Der Fortschritt ist die allmähliche Annäherung der Individuen an die Ganzheit zur möglichst vollständigen und allseitigen Arbeitsteilung zwischen den Organen und einer möglichst geringen Arbeitsteilung unter den Menschen. Unmoralisch, ungerecht, schädlich, unvernünftig ist alles, was diese Bewegung aufhält. Moralisch, gerecht, vernünftig und nützlich ist nur das, was die Verschiedenartigkeit der Gesellschaft verringert und damit die Verschiedenartigkeit ihrer einzelnen Mitglieder verstärkt.“ [g]

Welche wissenschaftliche Bedeutung kann diese Formel haben? Erklärt sie die historische Bewegung der Gesellschaft? Sagt sie aus, wie diese Bewegung vor sich ging und warum sie so und nicht anders verlief? Keineswegs, ist doch das gar nicht ihr „Hauptziel“. Sie sagt nicht aus, wie die Geschichte verlief, sondern wie sie hätte vor sich gehen müssen, um Herrn Michailowskis Billigung zu finden.

Sie ist ein „hygienisches Rezept“, von einem Utopisten auf der Basis „exakter Untersuchungen der Gesetze der organischen Entwicklung“ erdacht. Sie ist gerade das, was der Saint-Simonsche Medikus suchte.

„... Wir haben gesagt, dass die ausschließliche Benutzung der objektiven Methode in der Soziologie einem Addieren von Elle und Zentner, wenn dieses möglich wäre, gleichkäme; woraus übrigens nicht etwa folgt, dass die objektive Methode aus diesem Forschungsgebiet völlig entfernt werden müsste, sondern nur, dass die oberste Kontrolle hier der subjektiven Methode zukommt.“ [h]

„Dieses Forschungsgebiet“ ist gerade die „Physiologie“ der wünschenswerten Gesellschaft, das Gebiet der Utopie. Es ist überflüssig, zu sagen, dass die Anwendung der „subjektiven Methode“ hier die Arbeit des „Forschers“ stark erleichtert. Doch diese Anwendung beruht keineswegs auf irgendwelchen „Gesetzen“, sondern auf den „Reizen schöner Phantastereien“; wer ihnen einmal unterlegen ist, der wird selbst einer Anwendung beider Methoden, der subjektiven und der objektiven, auf ein und demselben „Gebiet“ – wenn auch unter verschiedenen Befugnissen – nicht widersprechen, obwohl ein derartiger methodischer Wirrwarr wirklich „ein Addieren von Elle und Zentner“ ist. [i]

* * *

Anmerkungen

A. Bei Helvétius, in seinem Buche «De l’:homme», findet man ein ausführliches Projekt einer solchen „vollkommenen Gesetzgebung“. Es wäre höchst interessant und lehrreich, diese Utopie mit den Utopien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu vergleichen. Leider standen aber sowohl die Historiker des Sozialismus als auch die Historiker der Philosophie einem solchen Vergleich bis jetzt völlig fremd gegenüber. Was besonders die Historiker der Philosophie betrifft, so behandeln sie Helvétius, nebenbei bemerkt, auf die unstatthafteste Weise. Selbst der ruhige und gemäßigte Lange findet für ihn kein anderes Charakteristikum als „der oberflächliche Helvétius“. Der absolute Idealist Hegel hat sich gegenüber dem absoluten Materialisten Helvétius gerechter verhalten.

B. „Ja, der Mensch ist nur das, was die allmächtige Gesellschaft oder die allmächtige Erziehung aus ihm macht, dieses Wort in seiner weitesten Bedeutung genommen, nicht nur als Erziehung durch Lehrer, Schule und Bücher, sondern als Erziehung durch Dinge und Menschen, durch Umstände und Ereignisse – die Erziehung, die das Kind in der Wiege ergreift, um es nicht einen Augenblick mehr zu verlassen“ (Cabet, «Voyage en Icarie», Ausgabe 1848, p. 402).

C. Siehe «Le Producteur», v. I, Paris 1825, Introduction.

D. «Mon but est de donner une Exposition Élémentaire, claire et facilement intelligible de l’:organisation sociale, déduite par Fourier des lois de la nature humaine» – „Mein Ziel ist es, eine klare und leicht verständliche Elementardarstellung der von Fourier aus den Gesetzen der menschlichen Natur abgeleiteten sozialen Organisation zu geben“ (V. Considérant, «Destinée sociale», v. I, 5me édition, Déclaration). – «Il serait temps enfin de s’accorder sur ce point: est-il à propos, avant de faire des lois, de s’enquérir de la véritable nature de l’homme, afin d’harmoniser la loi, qui est par elle-même modifiable, avec la nature, qui est immuable et souveraine?» – „Ist es nicht an der Zeit, sich über den folgenden Punkt zu einigen: Ist es nötig, dass man sich, ehe man Gesetze macht, Kenntnisse von der wahren Natur des Menschen verschaffe, damit ein Gesetz, das an und für sich verändert werden kann, mit der Natur, die unveränderlich und souverän ist, in Einklang gebracht werde?“ «Notions élémentaires de la science sociale de Fourier, par l’auteur de la défense du Fouriérisme» (Henri Gorsse, Paris 1844, p. 35).

E. «Le Producteur», v. I, p. 139.

F. In Bezug auf die Historiker der Restaurationsepoche haben wir das schon gezeigt. Sehr leicht könnte es auch hinsichtlich der Ökonomen gezeigt werden. Als die Ökonomen die bürgerliche Gesellschaftsordnung vor Reaktionären und Sozialisten in Schutz nahmen, verteidigten sie sie gerade als die der menschlichen Natur am besten entsprechende Ordnung. Die Bemühungen, ein abstraktes „Populationsgesetz“ zu finden, waren – unabhängig davon, ob sie vom sozialistischen oder vom bürgerlichen Lager ausgingen – aufs Engste mit den Ansichten von der „menschlichen Natur“ als dem Hauptbegriff der Gesellschaftswissenschaft verbunden. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur die hierher gehörende Lehre Malthus’ einerseits und die Lehre Godwins oder des Verfassers der Kommentare zu J. S. Mill [gemeint ist Tschernyschewski] anderseits miteinander zu vergleichen. Sowohl Malthus als auch seine Gegner suchen gleichermaßen das eine, sozusagen absolute Populationsgesetz. Unsere gegenwärtige politische Ökonomie betrachtet die Sache anders; sie weiß, dass jede Phase der gesellschaftlichen Entwicklung ihr eigenes Populationsgesetz hat. Aber davon später.

G. Besonders charakteristisch ist in dieser Hinsicht ein Vorwurf Helvétius’ gegen Montesquieu: „In seinem Buch über die Ursachen der Größe und des Niedergangs von Rom hat Montesquieu die Bedeutung der glücklichen Zufälle in der Geschichte dieses Staates nicht genügend berücksichtigt. Er verfiel in den Fehler, der den Denkern eigen ist, die alles erklären wollen, und in den Fehler von Stubengelehrten, die das Wesen der Menschen vergessen und den Volksvertretern unveränderliche politische Ansichten und einheitliche Grundsätze zuschreiben. Dabei werden jene gewichtigen Versammlungen, die man Senate nennt, häufig nach dem Ermessen eines einzelnen Menschen geleitet.“ (« Pensées et réflexions», CXL, im III. Band der «Œuvres complètes de Helvétius», Paris MDCCCXVIII.) Erinnert das, lieber Leser, nicht an die jetzt in Russland moderne Theorie von „Helden und Masse“? Warten Sie ab, die weiteren Ausführungen werden noch öfter zeigen, wie wenig Originalität der russischen „Soziologie“ eigen ist.

H. «Opinions littéraires, philosophiques et industrielles», Paris 1825, pp. 144, 145; vergleiche auch den «Catéchisme des industriels».

1. das Nützliche ist die Produktion.

2. die Politik ... ist die Wissenschaft von der Produktion.

I. Saint-Simon treibt die idealistische Geschichtsbetrachtung auf die Spitze. Bei ihm stellen sich nicht nur die Ideen („Prinzipien“) als die letzten Grundlagen der gesellschaftlichen Verhältnisse dar; unter den Ideen weist er sogar die Hauptrolle den „wissenschaftlichen Ideen“, dem „wissenschaftlichen Weltsystem“ zu, woraus sich die religiösen Ideen ableiten, die ihrerseits wieder die menschlichen Moralbegriffe bedingen. Das ist Intellektualismus, der damals auch unter den deutschen Philosophen herrschte, wo er freilich ganz andere Formen annahm.

J. Littré erhob sich wider Hubbard ganz entschieden, als jener auf diese – Entlehnung hinwies. Er schrieb Saint-Simon nur das „Gesetz der zwei Phasen“ zu: der theologischen und der wissenschaftlichen. Flint führt diese Ansicht Littrés an und bemerkt : „Er hat recht, wenn er sagt, dass das Gesetz der drei Phasen in keinem der Werke Saint-Simons erwähnt wird“ (Philosophy of History in France and Germany, Edinburgh and London MDCCCLXXIV, p. 158). Wir stellen dieser Bemerkung folgendes Zitat aus Saint-Simon gegenüber: „Welcher Astronom, Physiker, Chemiker oder Physiologe weiß nicht, dass in jedem Wissenszweig der menschliche Verstand, ehe er von rein theologischen Ideen zu positiven Ideen übergeht, sich lange Zeit der Metaphysik bedient hat? Ist nicht ein jeder, der über die Entwicklung der Wissenschaften nachgedacht hat, überzeugt, dass dieser Zwischenzustand nützlich und durchaus unerlässlich war, um den Übergang zu bewirken?“ («Du système industriel», Paris MDCCCXXI, préface, pp. VI/VII). Dem Gesetz der drei Phasen maß Saint-Simon eine derartige Bedeutung bei, dass er bereit war, rein politische Erscheinungen, wie zum Beispiel die Herrschaft der „Legisten und Metaphysiker“ während der Französischen Revolution, aus ihm zu erklären. Das „zu entdecken“ hätte Flint nicht schwerfallen sollen, nachdem er die Werke Saint-Simons sorgfältig gelesen hatte. Leider ist es aber bedeutend leichter, eine gelehrte Geschichte des menschlichen Denkens zu schreiben, als den wirklichen Verlauf seiner Entwicklung zu erforschen.

K. Diesen seinen Gedanken übernahm und entstellte später Proudhon, der darauf seine Theorie der Anarchie aufbaute.

L. «l’:organisateur», S. 119, Bd. IV der Werke Saint-Simons, der den XX. Band der Gesammelten Werke Saint-Simons und Enfantins bildet.

3. Im Original deutsch. Diese Verse aus Goethes Faust hat Plechanow offenbar aus dem Gedächtnis zitiert oder sie ins Deutsche zurückübersetzt; sie lauten richtig:

„Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
das ist im Grund der Herren eigner Geist.“

M. In dem Artikel «Considérations sur la baisse progressive du loyer des objets mobiliers et immobiliers»; «Le Producteur», v. I, p. 564.

N. Siehe insbesondere den Artikel «Considérations sur les progrès et l’:économie politique»; «Le Producteur», v. IV.

4. Gemeint ist Tschernyschewski.

O. Сочинения Н. К. Михайловского [Werke N. K. Michailowskis], Bd. II, 2. Ausgabe, St. Petersburg 1888, S. 259/240.

P. Наши направления [Naschi naprawlenija], St. Petersburg 1893, S. 138.

Q. Ebenda, S. 9, 13, 140 und viele andere.

R. Ebenda, S. 143 ff.

5. Lasst machen, lasst geschehen!

S. Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts widersprechen sich ebenso, obwohl ihre Widersprüche an einer anderen Stelle zutage treten. Sie waren für die Nichteinmischung des Staates und forderten dessen ungeachtet vom Gesetzgeber zeitweise eine kleinliche Regelung der Dinge. Auch den Aufklärern war die Beziehung zwischen der „Politik“ (die sie als Ursache ansahen) und der Wirtschaft (die sie für die Wirkung hielten) unklar.

6. Die Vernunft wird schließlich recht behalten.

T. «Dans un temps plus ou moins long il faut, – disent les sages, – que toutes les possibilités se réalisent: pourquoi désespérer du bonheur futur de l’humanité?» [In fernerer oder näherer Zukunft müssen sich – sagen die Weisen – alle Möglichkeiten verwirklichen: warum also am künftigen Glück der Menschheit verzweifeln?]

U. Сочинения Н. [К.] Михайловского [Werke N. K. Michailowskis], Bd. II, 2. Ausgabe, S. 102/103.

V. Ннколай-он [Nikolai-on], «Очерки нашего пореформенного общественного хозяйства», St. Petersburg 1893, S. 322/323.

W. Ebenda, S. 343.

X. Dementsprechend sind auch die praktischen Pläne des Herrn N–on nur eine fast buchstäbliche Wiederholung jener „Forderungen“, die schon längst, und völlig fruchtlos, von unseren utopischen Volkstümlern, zum Beispiel von Herrn Prugawin, angemeldet wurden. „Die Endziele und -aufgaben der gesellschaftlich-staatlichen Tätigkeit“ (wie ersichtlich, ist hier weder die Gesellschaft noch der Staat vergessen worden) „auf dem Gebiet des Fabrikwesens müssen aber sein: einerseits der Erwerb aller Arbeitswerkzeuge zugunsten des Staates und ihre Überlassung an das Volk zu zeitweiliger Nutznießung; anderseits die Errichtung einer solchen Organisation der Produktionsbedingungen“ (Herr Prugawin möchte einfach sagen: der Produktion, doch nach der Sitte aller russischen Schriftsteller mit Herrn Michailowski an der Spitze benutzt er den Ausdruck „Produktionsbedingungen“, ohne zu verstehen, was er bedeutet), „denen die Bedürfnisse des Volkes und des Staates zugrunde liegen, nicht aber die Interessen des Marktes, des Absatzes und der Konkurrenz, was bei der warenkapitalistischen Organisation der ökonomischen Kräfte des Landes der Fall ist“ (В. С. Пругавин [W. S. Prugawin], «Кустарь на выставке», Moskau 1882, S. 15). Der Leser vergleiche diese Stelle mit dem oben angeführten Zitat aus dem Buche des Herrn N–on.

Y. «Le Producteur», v. I, p. 140.

Z. Über diese Organisation siehe Globe 1831/1832, wo sie eingehend, selbst mit vorbereitenden Übergangsreformen, behandelt wird.

a. „Unsere Nationalökonomen streben mit allen Kräften, Deutschland auf die Stufe der Industrie zu heben, von welcher herab England jetzt die andern Länder noch beherrscht. England ist ihr Ideal. Gewiss: England sieht sich gern schön an; England hat seine Besitzungen in allen Weltteilen, es weiß seinen Einfluss aller Orten geltend zu machen, es hat die reichste Handels- und Kriegsflotte, es weiß bei allen Handelstraktaten die Gegenkontrahenten immer hinters Licht zu führen, es hat die spekulativsten Kaufleute, die bedeutendsten Kapitalisten, die erfindungsreichsten Köpfe, die prächtigsten Eisenbahnen, die großartigsten Maschinenanlagen; gewiss, England ist, von dieser Seite betrachtet, ein glückliches Land, aber – es lässt sich auch ein anderer Gesichtspunkt bei der Schätzung Englands gewinnen, und unter diesem möchte doch wohl das Glück desselben von seinem Unglück bedeutend überwogen werden. England ist auch das Land, in welchem das Elend auf die höchste Spitze getrieben ist, in welchem jährlich Hunderte notorisch Hungers sterben, in welchem die Arbeiter zu Fünfzigtausenden zu arbeiten verweigern, da sie trotz all ihrer Mühe und Leiden nicht so viel verdienen, dass sie notdürftig leben können. England ist das Land, in welchem die Wohltätigkeit durch die Armensteuer zum äußerlichen Gesetz gemacht werden musste. Seht doch, ihr Nationalökonomen, in den Fabriken die wankenden, gebückten und verwachsenen Gestalten, seht die bleichen, abgehärmten, schwindsüchtigen Gesichter, seht all das geistige und das leibliche Elend, und ihr wollt Deutschland noch zu einem zweiten England machen? England konnte nur durch Unglück und Jammer zu dem Höhepunkt der Industrie gelangen, auf dem es jetzt steht, und Deutschland könnte nur durch dieselben Opfer ähnliche Resultate erreichen, das heißt erreichen, dass die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer werden.“ Triersche Zeitung, 4. Mai 1846, wieder abgedruckt unter dem Titel Die gesellschaftlichen Zustände der zivilisierten Welt in dem ersten Band einer Rundschau, die unter der Redaktion von M. Hess als Der Gesellschaftsspiegel [Organ zur Vertretung der besitzlosen Volksklassen und zur Beleuchtung der gesellschaftlichen Zustände der Gegenwart]“ Band I, Iserlohn und Elberfeld 1846, erschien. [Diese und die folgende Fußnote bei Plechanow ganz in deutscher Sprache.]

b. „Sollte es den Constitutionellen gelingen“, sagte Büchner, „die deutschen Regierungen zu stürzen und eine allgemeine Monarchie oder Republik einzuführen, so bekommen wir hier einen Geldaristokratismus wie in Frankreich, und lieber soll es bleiben, wie es jetzt ist.“ Siehe Georg Büchner, Sämtliche Werke, herausgegeben von Karl Emil Franzos [Frankfurt am Main 1879], S. CXXII.

7. des niedrigen Interesses der Kaufleute.

8. des „Volks von England“.

c. «Considérations [philosophiques] sur les sciences et les savants» im ersten Band des «Producteur», pp. 355/356.

d. «Le Producteur», I, p. 504

e. [Michailowski] «Литература и жизнь »; «Русская мысль» [Russkaja Mysl], 1891, Heft 4, S. 105.

f. Сочинения Н. :К. Михайловского [Werke N. K. Michailowskis], Bd. IV, 2. Ausgabe, S. 265/266.

g. Ebenda, S. 186/187.

h. Ebenda, S. 185.

i. Im Übrigen sind allein die Ausdrücke „objektive Methode“ und „subjektive Methode“ ein ungeheuerlicher, zumindest terminologischer Wirrwarr.


Zuletzt aktualiziert am 20. Mai 2025